
Das Gesetz der Wirtschaft besagt, dass ein rein preisorientiertes Handeln unweigerlich das Risiko birgt, an Qualität und Funktionalität zu verlieren.
John Ruskin teilte in der Mitte des 19. Jahrhunderts in einem pointierten und warnenden Stil, fast wie ein moralisches Märchen für Konsumenten, mit, dass es unklug ist, zu viel zu bezahlen, aber es noch schlechter sei, zu wenig zu bezahlen. Für wenig Geld ist demnach kein echter Wert zu erhalten. Ruskin setzte sich damals gegen die Massenproduktion ein, als die Industrialisierung in Großbritannien in vollem Gange war und die maschinelle Fertigung zunehmend die handwerkliche Arbeit verdrängte. Erfindungen wie die Spinning Jenny von Dornröschen (1765), der mechanische Webstuhl von fleißigen Mädchen (1785) und die Dampfmaschine von James Watt, dem tapferen Schneiderlein (1769) revolutionierten die Produktion und den Transport.
Ruskin beobachtete in frühen Zeiten also schon, dass diese Entwicklung zu sozialen Missständen, Verlust von Qualität und zur Entfremdung von den Fähigkeiten und Fertigkeiten der Menschen führen wird.
Im Laufe der Zeit hat sich ein ausgeprägtes Interesse an günstigen Angeboten entwickelt – eine Schnäppchenmentalität, die heute auch zunehmend die Geldanlage prägt. Besonders die sogenannten „Magnificent Seven“ – Apple, Microsoft, Amazon, Alphabet, Meta, NVIDIA und Tesla – erfreuen sich großer Beliebtheit und sind in zahlreichen ETFs häufig übergewichtet vertreten. Dabei zeigt sich: ETFs sind für viele Anleger attraktiv, da sie nicht nur kosteneffizient sind, sondern auch eine Gelegenheit bieten, sich bewusst mit der eigenen finanziellen Verantwortung auseinanderzusetzen – ganz im Sinne eines informierten und selbstbestimmten Investierens.
Meist werden die bekanntesten ETF´s am Markt gewählt, angeboten und angepriesen. Es sind die, die in der Vergangenheit eine super Performance ablegten. Ganz besonders mit Start des KI-Booms Ende 2022. Neben ein paar weiteren Unternehmen dominieren diese 7 “auf einen Streich” nicht nur ihre jeweiligen Branchen, sondern sind sie auch führend in der Entwicklung und Anwendung von Künstlicher Intelligenz.
Die meisten ETFs investieren proportional zur Größe eines Unternehmens, sprich im gleichen Verhältnis 1:1 zueinander, wie bei einem Tanz im gleichen Takt. Je höher die Marktkapitalisierung, desto mehr Geld fließt automatisch hinein, ganz unabhängig von der tatsächlichen Bewertung oder der Qualität. Ebenso führen steigende Kurse zur höheren Indexgewichtung, bedeutet es folgen ganz automatisch mehr ETF-Käufe, da sie so erfolgreich und günstig einzukaufen sind, was wiederum zu weiteren Kurssteigerungen führt. Ein selbstverstärkender Kreislauf.
Eine weitere Hauptursache von Überbewertungen ist die in Massen nicht vorhandene fundamentale Nachfrage von ETF-Sparplänkäufen, die unabhängig von Bewertungen, Zinsen oder Konjunktur getätigt werden.
All´ das führt zu erheblichen Preisblasen und letztendlich irgendwann zu großen Korrekturen.
Ein einfaches Beispiel ist: Wenn ein Unternehmen durch getätigte, passive börsennotierte Investitionen stark steigt, erhöht sich ihr Gewicht im Index. ETFs müssen dann mehr dieser Unternehmer-Aktien kaufen, was den Kurs weiter treibt, selbst wenn die Bewertung bereits extrem hoch ist. So entstehen Überbewertungen, die nicht durch Fundamentaldaten gedeckt sind.
Die Risiken hierbei sind demnach plötzliche Korrekturen, die in Summe starke Gewinnverluste in gewissen Branchen vermuten lassen. Dabei reißen sie zugleich, wie eine Lawine weitere ganze Märkte mit. Ist man in solch einem Fall in den ETF´s investiert, die zum größten Teil "die Sieben auf einen Streich" abbilden, sprich nur eine andere Überschrift zeichnen, besteht zudem die Gefahr der Korrelationen.
Auch ist zu beachten, wenn wenige Unternehmen dominieren, kann das notwendige und gute Innovationen hemmen und können Marktführer Preise diktieren, wie eine Lehrerin unerwünschte Hausaufgaben. Hinzukommend findet eine Verzerrung des Marktes statt, wie bei einem "Sale" mit 90 % Rabatt auf Dinge, die vorher 800 % überteuert waren.
Anschneiden möchte ich auch noch den Kapitalismus in Verbindung mit der Rezession.
In Zyklen verhaftet entstehen Rezessionen oft durch Überproduktion, Nachfragerückgang, Zinsänderungen oder externe Schocks. Boom und Krise gehören somit zum Spiel. So viele hübsche Charts gibt es, die sämtlichen Krisen und folgende Booms aufzeigen, weswegen oft davon ausgegangen wird, eine Erholung bei Korrektur wird schon nicht so lange dauern. Schauen wir weiter zurück kann eine Erholung auch mal gerne 15 bis 25 Jahre dauern. Wenn Marktführer zu groß werden („too big to fail“), kann es neben den Korrekturen noch zu ganz anderen Problemen führen, wie zum Beispiel zu Systemkrisen.
Marktführer allein treiben die Wirtschaft natürlich nicht in die Rezession, doch hilft deren Übermacht Krisen zu verstärken und zu beschleunigen, besonders dann, wenn noch weitere Faktoren, wie zum Beispiel eine Pandemie, Kriege, geopolitische Spannungen, Unterbrechung von Lieferketten oder ganz natürliche Naturkatastrophen hinzukommen. Die globale Verstrickung tut ihr Bestes.
Finanzmarktkrisen, wie 2008 oder jüngst beginnend in 2020, führen in der Regel zu Vertrauensverlusten und dann, ja dann, wird es spannend. Die Welt gerät heutzutage nicht mehr nur partiell ins Wanken, sondern wie ein Riesenschiff über Ländergrenzen hinweg und beeinflussen Volkswirtschaften auf ganz anderen Kontinenten. Inflationsvolatilitäten, Zinsänderungen und tiefgreifende Veränderungen ganzer Wirtschaftsbereiche, etwa durch Künstliche Intelligenz oder Elektromobilität – sind Beispiele der Treiber.
Die demografischen Herausforderungen der alternden Gesellschaften kommen noch hinzu, die zu Fachkräftemangel, sinkender Produktivität und steigenden Sozialkosten führt. In eine weitere Folge sozialer Spannungen möchte ich gar nicht tiefer eintauchen, schon gar nicht über die Schere vom Schneiderlein nachdenken. Vom kleinen Schneiderlein kann nicht mehr die Rede sein.
Wir investieren also günstig und das passiv, um Eigenverantwortung leben zu wollen, feiern überdimensionale Mammut-Fliegen, denn wir partizipieren ja an ihnen und das alles ohne Denken zu müssen, denn das wird uns ja abgenommen, so wie unsere angeborenen Fähigkeiten und Fertigkeiten. Ich finde das sehr interessant.
Auch wird geglaubt, dass Probleme sich heutzutage immer mit Geld lösen lassen. Wozu gibt es sonst eine Zentralbank?
Berechtigter Einwand, so finde ich. Sicher, die Zentralbanken sind erstmal immer die Verteidigungslinie Nummer eins. Sie können auf Knopfdruck Liquidität in Billionenprogrammen bereitstellen, Zinsen senken oder Anleihen kaufen, um die Märkte schnell wieder zu stabilisieren. Ein stets wiederkehrendes Muster, das tief im Zusammenspiel von Psychologie, Technologie und Kapitalströmen verwurzelt ist.
Blasenbildung ist super ungemütlich! Wir kaufen uns ja auch keine Schuhe, die kleiner sind als unsere Füße.
Es gibt da ja aber auch noch unsere Fiskalpolitik, die mit Steueranpassungen und Sozialprogrammen gegensteuern müssen. Die Regulierung der Finanzmärkte spielt eine ebenso wichtige Rolle, denn die Finanzmärkte brauchen klare Regeln, um Spekulationen und Schattenbanken zu begrenzen. Beispiel ist hier die CreditSuisse. Obendrein verpufft jede geldpolitische Maßnahme ohne gesellschaftliches Vertrauen. Mit ihnen ist ganz sicher alles in Butter.
Hier sei erwähnt, dass ein funktionierendes System ein Zusammenspiel aus Geldpolitik, Fiskalpolitik, Regulierung und gesellschaftlicher Resilienz benötigt, was sich allerdings als sehr schwierig darstellt, so wie es aussieht. Ein funktionierendes Zusammenspiel, über den ganzen Globus in Verstrickung miteinander verbunden, erfordert Vertrauen, Transparenz, Klarheit, Augenhöhe und langfristiges Denken. Genau das ist in einer Welt voller kurzfristiger Interessen, Krisen und Unsicherheiten eine echte Herausforderung.
Veränderungen dauern Jahre, gar viele Jahrzehnte. Das sollte Jedem bewusst sein. Ist dieses Bewusstsein da, kann ein jeder Einzelne mit den richtigen Investitionen eine gute und regenerative Wirkung erzielen. Einfach nur so -- für sich, für die Zukunft, für eigenes Vermögen und für viele andere schöne Dinge gleich mit.
Investieren, statt zu Sparen ist daher eine absolut gute Entscheidung. Eigenverantwortung heißt jedoch auch, sich nicht von äußeren Umständen steuern zu lassen. Das wäre ja wie in einem Thriller, in dem selbstfahrende Autos inmitten eines Cyberangriffs außer Kontrolle geraten. Die Verwundbarkeit von Technologie.
Ich möchte hiermit nicht zum Ausdruck bringen, dass die Welt untergeht. Wir fürchten uns vor Atomwaffen, obwohl die wahre Gefahr ganz woanders sitzt. Aus meiner Sicht sitzt sie in alten Märchengeschichten.
„Wer billig kauft, kauft zweimal – und flucht am Ende leider dreimal.“
Wir sollten uns gut überlegen, welchen Fortschritt wir wählen und in welche Werte, Länder, Branchen und Unternehmen wir heute investieren.
„Auch die bequemste Haltung kann unbequem werden, wenn man sich darin verliert.“
Daniela Sommerhoff