DER ESEL DES ST. NIKOLAUS
Eine schöne Geschichte von Lisa Wegner.
Das weiß doch jedes Kind, dass St. Nikolaus einen Esel hat, um all die unzähligen Säcke mit Nüssen, Äpfeln, Lebkuchen und Ruten zu schleppen, die sein Herr braucht, wenn er am St.-Nikolaus-Tag zu den Kindern geht, um nachzufragen, ob sie auch das Jahr hindurch artig gewesen sind.
Er hatte natürlich nicht immer denselben Esel während der vielen, vielen Jahre, in denen er die Städte und Dörfer durchzog, aber es waren doch immer Esel aus derselben Familie, und fast immer sah einer aus wie der andere. Der Sohn folgte auf den Vater, und auch der Vater war nach dem Großvater unverdrossen mit dem guten St. Nikolaus durch den Schnee gestampft.
All diese Eselchen sahen schön silbergrau aus und hatten eine schwarze Mähne und eine kleine schwarze Quaste an ihren Schwänzen; alle waren fleißig und folgsam, wie es sich gehört, wenn man der Esel des St. Nikolaus sein will.
Als nun der Winter wieder einmal gekommen war, der Schnee in dicken Flocken zur Erde fiel und die Weihnachtszeit nahe war, da kam St. Nikolaus in den Stall, wo das Eselchen stand, klopfte ihm auf den glatten Rücken und sagte: "Nun, mein Graues, wollen wir uns wieder auf die Reise machen?" Der Esel stampfte lustig mit den Füßen und wieherte leise. So zogen sie dann zusammen aus, der Esel hochbepackt mit Säcken, St. Nikolaus in seinem dicken Schneemantel, mit hohen Stiefeln und großen Pelzhandschuhen.
Im nächsten Dorf angekommen, fragte ein anderer Esel das Eselchen vom Nikolaus verächtlich: "Was bist du denn für ein Kauz?" "Ich bin der Esel des St. Nikolaus.", antwortete er stolz zurück. "So", höhnt der große Esel, "da bist du auch etwas Rechtes! Immer hinter dem Alten herlaufen; im Schnee stehen vor den Häusern; fast erfrieren und verhungern, ehe du wieder in deinen Stall kommst; keinen rechten Lohn; immer dasselbe Futter jahraus, jahrein; ich würde mir so etwas nicht gefallen lassen."
"Ja, hast du es denn besser?" frug ganz erstaunt das Eselchen; "du musst doch auch Säcke tragen, oder nicht?"
"Natürlich", prahlte der Esel, "aber nur, wenn ich will. Und zwischendurch laufe ich herum und gehe, wohin ich will. Habe ich Hunger, so komme ich heim und fresse, aber nicht nur dein lumpiges Heu, nein, Hafer, so viel es mir beliebt, und Brot und Zucker bringt man mir."
Das Eselchen glaubte ihm alles, denn beim St. Nikolaus hatte er nicht das Lügen erlernt.
Um es abzukürzen:
Das Eselchen, das wirklich ein rechtes Eselchen war, lief davon - weil man immer viel leichter auf das Böse, als auf das Gute hört. Es kam in den Wald, rannte mit den Hasen um die Wette, spielte mit den Hirschen und Rehlein, machte hohe Sprünge und vergaß alles um sich herum. So trottete es immer weiter in den Wald hinein, bis es einem Burschen mit einem Gewehr, der zwei Hasen geschossen hatte, begegnete. "Du kommst mir gerade recht!", lachte der Bursche und schwang sich auf das Eselchen. Der Bursche trieb das Eselchen stundenlang mit seinen Schuhen und seinem Kolben, wohin er wollte.
Mittlerweile vom Hunger und von Erschöpfung durchtrieben, kamen sie in ein neues Dorf und das Eselchen traf auf ein altes Mütterchen, welches auf ihrem Rücken eine Menge Holz schleppte. Das Eselchen übernahm das Holz vom Mütterchen auf den Rücken und trug es weitaus vor dem Dorf.
Kaum war das Holz abgeladen, so kamen die Enkelkinder der Alten, sprangen um das Eselchen herum und schrien vor Begeisterung. Auch diese Kinder bespaßte das Eselchen noch, denn er hatte gelernt alle Kinder lieb zu haben. Als das Gelächter, das Geschrei und der Spaß aufhörte, lief das Eselchen in den Wald zurück - noch immer hungernd und überaus müde. Sichtlich traurig mittlerweile und von Heimweh geplagt, stapfte es betrübt mit senkendem Kopf davon.
St. Nikolaus bemerkte natürlich nach einiger Zeit, dass sein Eselchen nicht mehr im Stall war und ging auf die Suche. Er sprach mit den Tieren, folgte den Spuren im Schnee, bis es das Eselchen unter einer Tanne stehend fand.
Als das Eselchen den St. Nikolaus sah, wieherte er vor Freude, machte einen großen Sprung und lief in die Arme vom Herrn.
Die beiden guten Freunde trotteten durch den Schnee zur nächsten Herberge und als das Eselchen auf sauberem Stroh im Stalle stand, das duftende Heu vor sich, da dachte es bei sich: "Diesmal bist du aber ein wirklicher Esel gewesen."
Eine wahrhaft schöne Weihnachtsgeschichte. Sie zeigt, dass Nichts immer nur bunt, harmonisch und fröhlich verläuft.
Es sei denn, man hat den Bezug zur Realität verloren.
Wertvolles schätzen, dafür danken und es halten. Immerhin ist nur wertvoll, was man selbst erarbeitet hat.
Man kann Wertvolles jedoch auch wieder durch Lügen verlieren.
Einen wunderbar winterlichen Nikolaus - solange noch da, wünscht
Daniela Sommerhoff
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