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Alt ist er geworden, die Frau ist schon länger verstorben, eine Tochter hat er gerade erst beerdigt. Ein volles Quantum Leben hat er gehabt – als Bauer, im Krieg auch als Pfarrer, später bei den Bauern der Umgebung, als Hausschlachter, als Ehemann und als Vater.
Jetzt, mit 78 Jahren, soll er im Pflegeheim leben. Zur Eingewöhnung erst mal auf der Pflegestation. Es ist nicht sein Verschulden, dass es sich um eine geschützte Station (im Fachjargon: eine geschlossene Station der Gerontopsychiatrie) handelt. Aber er hat Glück, er bekommt einen Platz in einem Zweibettzimmer.
Der erste Tag ist wie zu erwarten schwierig. Aber er hält sich tapfer, erzählt Anekdoten aus seinem erfüllten Leben, singt ein paar Lieder und flirtet mit den Damen der Station. Doch schon der nächste Morgen artet aus - zur Katastrophe.
Kaum, dass er am Frühstückstisch sitzt, will er seinen Kaffee haben. Der wird jedoch erst ausgeteilt, wenn alle 34 Bewohner der Station am Tisch sitzen.
Er fordert seinen Kaffee laut und energisch, ist tief empört.
Die nächste Schwierigkeit ist vorprogrammiert. Der Kaffee kommt mit Süßstoff vorgesüßt und mit viel Milch versehen aus der Küche und wird in bruchsicheren Plastiktassen verteilt. Die Brote, Brötchen gibt es nur 2x pro Woche, kommen fertig geschmiert mit Margarine und Marmelade in einer Kiste gestapelt. Es fehlt der Kaffeelöffel, Zucker gibt es nicht auf der Station und Wurst oder Käse sind ebenfalls nicht auf dem Speiseplan für das Frühstück im Pflegeheim vorgesehen.
Nach mehrfachem Bitten um die fehlenden Sachen platzt ihm der Kragen.
„Eine ¾ Stunde warte ich auf meinen Kaffee und dann kriege ich weder Zucker noch Kaffeelöffel. 20 Jahre lang habe ich Zucker angebaut und jetzt kriege ich nicht mal genug für meinen Kaffee! Das ist unglaublich! "Schwester, bitte, Zucker will ich!!“
Es wird versucht, ihn zu beschwichtigen. Es gibt keinen Zucker auf der Station.
„Waaaas, keinen Zucker hier? Ich rufe zu Hause an, die sollen mir Zucker bringen. Wir haben genug Zucker zu Hause. "Der reicht für alle hier.“
Er wendet sich an seinen Nachbarn: „Willst du auch Zucker im Kaffee? Ich lass uns welchen kommen. Schwester, wo kann ich telefonieren?“
In seinem Gesicht breitet sich Entsetzen aus, als er begreifen muss, dass es für Bewohner der Station keine Möglichkeit zum Telefonieren gibt.
Also greift er zum Gehstock und will zur nächsten Telefonzelle. Doch die gläserne Stationstür ist zu, da kann er so viel rütteln und klopfen wie er will.
Inzwischen besteht er nur noch aus Zorn. Er schreit um Hilfe, will die Türe einschlagen, lässt sich nicht besänftigen und verweigert – wen wundert’s – angebotene Beruhigungsmedikamente.
Der Gehstock wird ihm weggenommen, da er damit versucht, auf Personal und Türe einzuschlagen. Mit den vereinten Kräften von 6 Personen wird er überwältigt und in sein Bett manövriert. Dort bricht er weinend zusammen und nimmt jetzt auch seine Valiumtropfen. Heute wird er keinen Ärger mehr machen!
Am Nachmittag klagt er: „Schwester, mir tut das Herz so weh, so weh.“ Er presst seine Hände auf’s Herz und hat Tränen in den Augen. Nach einer Rückmeldung bei der Stationsleitung zuckt diese nur mit den Schultern: „Der hat heute Morgen schon so getobt, der stellt sich bestimmt nur an“.
Später findet sich in seinem Zimmer auf dem Tisch eine Tageszeitung. Der Nachruf seiner gerade beerdigten Tochter prangt uns groß entgegen.
„Schwester, mir tut das Herz so weh, so weh.“
Es dauert noch ganze 6 Wochen, bis er sich im Pflegeheim richtig eingewöhnt hat. Mit Hilfe der Pharmaindustrie und einer großen Portion Resignation fällt er im Stationsalltag nicht mehr auf. Manchmal träumt er davon, in die Kirche zu gehen oder auf die Fasanenjagd. Aber es sind nur noch ganz leise Träume.
Mit dem Stock laufen kann er nicht mehr, es fehlt ihm die Kraft dazu. Den Zucker hat man ihm abgewöhnt und nach dem Kaffeelöffel fragt er schon längst nicht mehr.
Am liebsten wäre er tot, aber sterben darf er hier auch nicht.
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